Die TU München und der der BLSV starten eine enge Zusammenarbeit: Synergien nutzen und von und miteinander profitieren, das sind die Ziele der Kooperation zwischen der Technischen Universität München und des Bayerischen Landessportverbands. Wie die Zusammenarbeit der beiden Sportexpertisezentren aussieht, verraten Prof. Dr. Reante Oberhoffer-Fritz, Dekanin der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften an der TU München (TUM) und Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Landessportverbands (BLSV).
TU München und BLSV starten Zusammenarbeit
Warum haben sich die Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften (SG) der TU München und der Bayerische Landessportverband dazu entschieden, eine Kooperation einzugehen?
Prof. Dr. Oberhoffer-Fritz, Dekanin der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften: „Sowohl die Fakultät SG als auch der BLSV bekennen sich zu den Kernthemen Bewegung, Sport und Gesundheit – unsere Fakultät SG als universitäre Einrichtung, der BLSV als Dachorganisation für Sport mit einer Reichweite von mehr als vier Millionen Mitgliedern. Beide Institutionen ergänzen sich somit hervorragend, weshalb wir uns durch unsere Zusammenarbeit einen Mehrwert in Forschung, Lehre und Anwendung bzw. Dissemination für die Kernthemen versprechen.“
Jörg Ammon, Präsident des BLSV: „Dieser Aussage schließe ich mich sehr gerne an. Unsere Sportlerinnen und Sportler sind in 12.000 Vereinen organisiert, 56 Sportfachverbände bilden die Sportfachlichkeit ab, außerdem sind knapp 91.000 Übungseiter und rund 300.000 ehrenamtlich engagierte Menschen in unserer großen Sportfamilie dabei. Der BLSV bietet also ein großes Potenzial für Untersuchungen einerseits und sehr viele Multiplikatoren andererseits. Die TUM hat eine exzellente wissenschaftliche Expertise. Durch die Zusammenarbeit zweier Spitzeninstitutionen lassen sich Sporttheorie und Sportpraxis eng vernetzen. Damit der Sport eine gute Zukunftsperspektive hat.“
Wissenschaftliche Erkenntnisse für die Sportpraxis und Trainerweiterbildung
Welche konkreten Ziele verfolgen die TUM Fakultät SG und der BLSV mit dieser Kooperation?
Oberhoffer-Fritz: „Wir verfolgen mit unserer Kooperation mehrere Ziele: zunächst einen Zugewinn für die universitäre Forschung durch Zugang zu Kohorten des BLSV in Breiten- und Leistungssport, und ferner eine großflächige Implementation von wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Sportpraxis und Trainerweiterbildung. Darüber hinaus wollen wir zukünftig gemeinsam außenwirksame Veranstaltungen für Fach- und Laienpublikum zum Themenkomplex Bewegung, Sport und Gesundheit, auch im Sinne von Sportgroßveranstaltungen, durchführen.“
Ammon: „Wir haben dabei mehrere konkrete Schwerpunkte definiert: Untersuchung des Bewegungs- und Ernährungsverhaltens von Freizeit‑, Leistungs- und Breitensportlern, Fitness und Gesundheit über die gesamte Lebensspanne, Feststellung und Förderung einer flächeneckenden motorischen und kognitiven Diagnostik sowie die Konzeption und Umsetzung von Maßnahmen zur Förderung von Sport und Bewegung von Kindern und Jugendlichen in unterschiedlichen Settings, z. B. in der der Schule.“
Bewegungsmangel für Kinder und Familien reduzieren
Welche gemeinsamen Projekte und Maßnahmen sind im Laufe der Kooperation geplant?
Ammon: „Es handelt sich um eine Rahmenvereinbarung, die Raum für vielfältige gemeinsame Projekte lässt. Corona hat den Bewegungsmangel, den wir seit geraumer Zeit mit Sorge beobachten, gerade bei Kindern und Jugendlichen noch verschärft. Schulsport war nicht möglich, Vereinssport ebenfalls nicht. Wir wissen aber, dass Sport sowohl für die physische als auch für die psychische Gesundheit gerade junger Menschen essenziell ist. Da müssen wir dringend etwas tun.“
Oberhoffer-Fritz: „Deswegen dient unser erstes gemeinsames Projekt der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Wir möchten mit digitalen Bewegungsangeboten den Bewegungsmangel für Kinder und Familien reduzieren, der gerade während der COVID-19-Pandemie ein enormes Ausmaß erreicht hat.“
Faktenbasierte Argumente für den Dialog mit Politik und Gesellschaft
Wie kann der organisierte Sport in Bayern von der Expertise der Exzellenzuniversität TU München profitieren?
Ammon: „Auch die Wissenschaft bewegt unseren Sport. Der Austausch von Erkenntnissen und Erfahrungen mit der TUM wird konkret den Wissenstransfer in die Sportpraxis stärken. Mit Konzepten, die an der Basis umsetzbar sind. Die erarbeiteten Forschungsergebnisse aus den Studien der TU München werden also dem bayerischen Sport zugutekommen. Daneben werden wir gute, faktenbasierte Argumente für den Dialog mit Politik und Gesellschaft erhalten.“
Oberhoffer-Fritz: „Aktive Sportlerinnen und Sportler und solche, die es werden wollen, sowie Trainer und Trainerinnen könnten durch eine enge Vernetzung des BLSV mit unserer Universität aktuelle Forschungsergebnisse kennenlernen und von ihnen für ihre Gesundheit profitieren. Aktuell wäre das zum Beispiel durch Empfehlungen zu ‚Return to Sports‘ nach COVID-19 möglich, aber auch zu trainingswissenschaftlichen, sportmedizinischen oder gesundheitsfördernden Themenfeldern sowie zu modernen Aspekten der Sportstättengestaltung.“
Wie kann andersherum die TU München von der Expertise des BLSV als Dachverband des bayerischen Sports profitieren?
Oberhoffer-Fritz: „Durch den Einblick in die Realität des organisierten Sportes eröffnen sich anwendungsnahe Forschungsfelder und Möglichkeiten der Translation von Forschungsergebnissen direkt in die Gesellschaft – mit einem hohen Multiplikationsfaktor.“
Ammon: „Der BLSV ist seit mittlerweile mehr als 75 Jahren die Dachorganisation des organisierten Sports in Bayern. Aus unserem immens großen Netzwerk aus Vereinen und Sportfachverbänden in den Bezirken und Kreisen und einem über viele Jahre gewachsenen Erfahrungsschatz in den Schlüsselsegmenten Breiten- und Leistungssport, Individual- und Mannschaftssport sowie Kinder- und Jugendsport bieten wir der TUM ein breites Reservoir für die Forschung.“
Ziel: Bewegungsförderung von Kindern und Jugendlichen sowie Nachwuchsleistungssportförderung
Der Fokus der Kooperation liegt auf Sport und Bewegung von Kindern und Jugendlichen in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendbetreuung sowie in der Nachwuchsförderung im Leistungssport – welche Impulse können in diesen Bereichen von den beiden Partnern gesetzt werden?
Oberhoffer-Fritz: „Kinder- und Jugendgesundheit erfährt in der Forschungslandschaft, im Gesundheitswesen und in der Politik gegenüber Themen bei Erwachsenen nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient hat. Je früher in die Gesundheit investiert wird, umso nachhaltiger hält der Effekt an und umso gesünder kann das Erwachsenenalter sein. Wir hoffen, mit unserer Kooperation dem Thema mehr Nachdruck verleihen zu können, und damit Prävention vermehrt dort anbieten zu können, wo sie am meisten nutzt.“
Ammon: „Das Thema Bewegungsförderung von Kindern und Jugendlichen sowie die Nachwuchsleistungssportförderung liegen dem BLSV besonders am Herzen. Ziel ist, durch Studien der TU München wie etwa zum Bewegungs- und Ernährungsverhalten von Freizeit‑, Leistungs- und Breitensportlern Handlungsempfehlungen für mehr Bewegung und eine nachhaltige Gesundheitsförderung zu erarbeiten. Genau hierfür wollen wir unsere Vereine mit konkreten Angeboten befähigen. Außerdem weiß jeder, dass Sport ein Allzweckmittel gegen zahlreiche Krankheiten ist. Und trotzdem bewegt sich fast jeder zweite Deutsche zu wenig. Zusammen mit der TUM wollen wir die Menschen dazu zu bringen, sich mehr zu bewegen. Und das am besten in einem unserer 12.000 Sportvereine.“
Der Bewegungsmangel von Kindern und Jugendlichen ist in Zeiten der COVID-19-Pandemie noch mehr in den Fokus gerückt – mit welchen Maßnahmen können die Fakultät SG und der BLSV Anreize zu einem verbesserten Bewegungsverhalten setzen?
Oberhoffer-Fritz: „Die COVID-19-Pandemie eröffnet die Chance, Sport- und Bewegungsangebote ganz neu zu ‚denken‘: nicht nur in Form von der typischen Präsenz im Sportverein, sondern ortsunabhängig durch virtuelle Angebote in den eigenen vier Wänden. Darüber hinaus erfährt das Thema Outdoor-Sport eine neue Renaissance. Hier können generationenübergreifende Bewegungskonzepte in Alpennähe, aber auch in Städten konzipiert werden.“
Ammon: „Wir müssen dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche wieder mehr Spaß an der Bewegung und am Sport haben und den Weg zurück in den Sportverein finden. Hierzu sind auch entsprechende Angebote für Kinder und Jugendliche erforderlich, denn ohne Anreize wird sich das Bewegungsverhalten von Kindern und Jugendlichen nicht verbessern. Corona hat bewegungslose Bildschirmzeiten noch einmal befördert. Der bundesweite Vier-Stufen-Plan für den Kinder- und Jugendsport, den die Deutsche Sportjugend (dsj) in Zusammenarbeit mit allen Mitgliedsorganisationen erarbeitet hat, soll zu Bewegung und Sport motivieren, genauso wie unser Kooperationspartner Felix Neureuther, der sich intensiv für mehr Bewegung bei Kindern und Jugendlichen einsetzt. Außerdem bieten zahlreiche bayerische Vereine bei unserer Kampagne #Zamfitbleim digitale Sportangebote an, bei denen auch zuhause vor dem Bildschirm ‚mitgesportelt‘ werden kann. Rund 400 Trainingsvideos sind so auf unserem YouTube-Kanal BLSV TV schon zusammengekommen. Reinklicken lohnt!“
Schulsport als Basis für Lust auf Bewegung
Auch der Schulsport kommt während des „Home Schoolings“ aufgrund der COVID-19-Pandemie zu kurz – können digitale Angebote der Schulen im Bereich Sport und Bewegung hier für eine gewisse Kompensation sorgen?
Ammon: „Für eine gewisse Kompensation ja, für einen vollständigen Ersatz sicherlich nicht. Es werden zahlreiche digitale Sportangebote, auch von Lehrerinnen und Lehrern gemacht. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es nicht nur um Bewegung geht. ‚Analoger‘ Sport mit mehreren in der Gruppe hat schließlich auch noch andere Komponenten: Kinder und Jugendliche treffen beim (Schul-)Sport auch ihre Klassenkameraden und Freunde, lernen, sich in eine Mannschaft einzuordnen, mit Konflikten, Siegen und Niederlagen umzugehen und entwickeln Teamgeist – das alles funktioniert digital nicht.“
Oberhoffer-Fritz: „Sehe ich auch so. Eine gewisse Kompensation wird hierdurch sicher möglich sein. Auf Dauer muss die Lust an Bewegung jedoch nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Schulen gefördert werden – auch das Thema Schulsport muss weiterverfolgt werden, denn hier erreicht man alle schulpflichtigen Kinder. Zudem sollte angesichts der Ganztagesschule mehr als eine Doppelstunde pro Woche angeboten werden.“
Die TU München und der BLSV starten ihre Zusammenarbiet seit Anfang des Jahres. Die Synergieeffekte liegen auf der Hand.